Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Lebendige Seele (1. Mose 2,4-7)


Predigt von PD Dr. Constantin Plaul im Universitätsgottesdienst am 17. Dezember 2023

Liebe Universitätsgemeinde!

Wir haben den Text, der der heutigen Predigt zugrunde liegt, vorhin schon gehört: den Anfang der zweiten Schöpfungserzählung aus dem Buch Genesis.

Auf den ersten Blick mag dieser Text heute ein gewisses Befremden auslösen. Der in ihm geschilderte Vorgang ist doch geschichtlich und sachlich sehr weit weg davon, wie wir uns heute die Entstehung der Welt und der Menschen erklären. Ich möchte jetzt aber nicht in die breite Debatte über das Verhältnis von biblischem Schöpfungsverstehen und naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen eintreten. Ich will lieber danach fragen, welche Grundintuition in diesem Bibeltext dichterisch-erzählend artikuliert wird. Und diese Grundintuition mag näher an unseren Gegenwartserfahrungen dran sein als es prima facie scheint.

Was wurde hier erzählt?

Die biblische Geschichte setzt uns fiktiv-virtuell zurück in die unvordenkliche Zeit als es Himmel und Erde noch nicht gab – und die nun ins Dasein treten. Wie genau dies geschehen sein mag, bleibt im geheimnisvollen Dunkel. Unser Text findet dafür das Bild, eines schaffenden Gottes. Er macht Himmel und Erde.

Zunächst ist das Ganze noch vollkommen unwirtlich. Keine Sträucher, kein Kraut, wohl überhaupt noch keine Pflanzen und kein Leben. Folglich auch keine Menschen, die sich diese Welt aneignen und zu eigen machen könnten. Ein Ort vor aller geschichtlichen Zeit, wo es noch keine Naturabläufe gibt, noch nicht einmal den Wechsel von Regen und Sonne. Nur ein mythischer Strom, der in unabänderlicher Gleichheit aus der Erde emporsteigt und immerfort Wasser auf das Land ergießt.

Was für ein Bild, was für eine Szenerie! Es ist bereits mehr als nichts, aber: es gibt noch keine Entwicklung, kein Leben.

Nun kommt es zu einer dramatischen Zuspitzung. Der unvordenkliche Ursprung der Schöpfung, Gott der Herr, entschließt sich, Menschen zu machen. Anders als in der Schöpfungserzählung aus Gen 1 geschieht dies nicht als letzter Schöpfungsakt nachdem bereits Licht, Pflanzen, Sonne, Mond, Sterne und Tiere ins Dasein getreten sind. Hier betreten die Menschen viel früher die Bühne. Und wie!

Gott formt aus dem bis dahin unbelebten Stoff, aus dem Staub der Erde, den Adam, den Menschen. Aber diese Form aus Staub lebt noch nicht. Sie bedarf eines weiteren entscheidenden Elements, um lebendig zu werden. Sie bedarf des Odems des Lebens. Und diesen Odem kann kein anderer geben als Gott selbst.

Er bläst ihn dieser Figur aus Erdstaub in die zuvor geformte Nase – einem Organ übrigens, das auch an anderen Stellen der Bibel mit dem Göttlichen in Verbindung gebracht wird: etwa, wenn davon die Rede ist, dass etwas ein Wohlgeruch für Gott ist, aber auch, dass Götzen Nasen haben, die eben nichts riechen können.

Gott bläst nun also seinen Odem in die Nase der Staubfigur und – wie es in der aktuellen Luther-Übersetzung heißt – so „ward der Mensch ein lebendiges Wesen“.

Auf den ersten Blick mag es eine Selbstverständlichkeit sein: Das Leben des Menschen, ja das Leben überhaupt kommt von Gott. Ist doch klar, mögen Sie sagen, dass das Leben in den Augen der biblischen Schriftsteller von Gott kommt. Woher denn sonst!

Aber so wenig überraschend dies in gewisser Weise sein mag, so wenig belanglos ist es: Das Leben kommt von Gott. Denn in der Konsequenz heißt das ja auch: Das Leben kommt nicht von uns. Es kann nicht von uns gemacht werden. Weder magisch noch technisch.

Diese Konsequenz ist nicht trivial, gerade in unseren Zeiten nicht – gibt es doch gewichtige Bestrebungen, die genau diesen Sachverhalt vernachlässigen, wenn sie ihn nicht gar direkt negieren.

Nur mal zwei unterschiedliche Beispiele.

Vor 15 Jahren war im Guardian von dem US-Amerikanischen Genforscher, Craig Ventor, zu lesen: „Ich erschaffe künstliches Leben.“ Allerdings waren die Journalistinnen etwas zu vorschnell und zu reißerisch gewesen. Ventor selbst jedenfalls relativierte die Schlagzeile im Anschluss: Er und sein Team hätten kein künstliches Leben aus unbelebter Materie erschaffen, sondern lediglich vorhandenes lebendes Material verändert.

Mir geht es jetzt nicht um die ethischen Aspekte der synthetischen Biologie. Mir geht es lediglich darum, dass selbst die Speerspitze biologischer Forschung als selbstverständlich einräumt, dass Leben als solches nicht herstellbar ist. So sehr der technische Fortschritt die Schranken der Modifizierbarkeit von Leben auch immer weiter hinausschiebt: Im Letzten bleibt das Leben – und wir darin – etwas Geheimnisvolles.

Oder um es mit Worten Albert Schweitzers zu sagen: „Alles Wissen ist zuletzt Wissen vom Leben und alles Erkennen Staunen über das Rätsel des Lebens – Ehrfurcht vor dem Leben in seinen unendlichen, immer neuen Gestaltungen.“ Am Leben bricht sich die wissenschaftliche Erkennbarkeit. Und an ihm bricht sich auch die Machbarkeit. Der Lebensodem kommt von Gott.

Aber unser Predigttext erzählt ja eigentlich auch gar nicht von der Schaffung des Lebens in seiner biologischen Gesamtheit. Der Predigttext fokussiert die Verlebendigung des Menschen. Deshalb nochmals ein anderes Beispiel aus unserer Gegenwart.

Seit dem 20. Jahrhundert arbeiten Computerwissenschaftler in Verbindung mit anderen Disziplinen an der Entwicklung eines technischen Zusammenhangs, für den sich der Titel Künstliche Intelligenz eingebürgert hat.

Nicht wenige und z.T. durchaus renommierte Vertreterinnen und Vertreter erwarten dabei ein vergleichsweise bald erfolgendes Erwachen der Maschine, erwarten, dass sie zu Bewusstsein gelangt und – so könnte man wohl sagen – dass sie gleichsam geistig zu leben beginnt. Der Director of Engineering bei Google, Ray Kurzweil, hat sogar ausgerechnet wann das in Folge des zunehmenden technischen Fortschritts passieren wird: nämlich im Jahre 2045.

Aber hier verhält es sich wohl ähnlich wie bei der Schlagzeile im Guardian: Die Ankündigung ist vorschnell und reißerisch. Jedenfalls teilt das ganz überwiegende Gros der mit Künstlicher Intelligenz befassten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jene Erwartung eines zu Bewusstsein und Freiheit erwachenden algorithmischen Systems nicht.

Dabei spielen unterschiedliche Gründe eine Rolle. Entscheidend ist aber wieder: Als Menschen können wir kein geistiges Leben mithilfe unserer digitalen Technik herstellen. Wir können unserer Maschine keinen Odem einhauchen. Das kann eben nur Gott tun.

Wer weiß, vielleicht tut er das ja irgendwann auch mit Algorithmen. Aller Wahrscheinlichkeit aber nicht.

Die Beispiele aus synthetischer Biologie und KI-Entwicklung können den Eindruck erwecken, dies alles sei ein genuin modernes Phänomen. Aber das Streben oder der Wunsch, dass die eigenen Produkte lebendig würden, ist menschheitsgeschichtlich alt.

Aus der Antike ist uns die Sage von Pygmalíōn überliefert – von dem Ovid in seinen Metamorphosen erzählt, dass er ein Bildhauer war, der sich in seine selbst geschaffene Skulptur verliebte.

Aus dem Mittelalter kennen wir die mythische Figur des Golems – eines von Menschen aus Lehm gestalteten und zu Leben erweckten Wesens.

Auch an Mary Shellys Roman Frankenstein kann man denken, in dem die Verlebendigung von Unlebendigem zudem in enger Verbindung mit moderner Wissenschaft geschildert wird.

Offenbar scheint es irgendwie zum menschlichen Leben zu gehören, immer wieder auch nach einer Verlebendigung der eigenen kulturellen Produkte zu streben. Mindestens, sich dies zu wünschen.

Vielleicht hat das mit den Tiefen unserer Einbildungskraft zu tun, die uns ja alles um uns her verlebendigen kann. Ohne sie wäre keine Phantasie, keine künstlerische Tätigkeit und keine Poesie denkbar. Aber mit der Kraft der Einbildung hängt es wohl auch zusammen, dass Menschen nur schwer davon ablassen können, ihre eigenen Produkte beleben zu wollen oder sie gar als lebendig anzusehen. Irgendwie auch ein rührender Zug. In gewisser Weise hat er fast etwas Kindliches an sich.

Aber welche Geschichte bringt das Erwachsenwerden der Menschen besser zum Ausdruck als die Paradiesesgeschichte im ersten Buch Mose. Und an ihrem Anfang steht eben die Einsicht, dass es Gott ist, von dem wir unseren Lebensodem haben.

Mit alledem verbindet sich ein demütigender Grundzug: Unserer Schöpferkraft sind letzte Grenzen gesetzt. Mithilfe der Technik können wir tausenderlei Dinge tun: wir können Organismen bis auf ihre Grundlagen hinab modifizieren, wir können künstliche Organe herstellen, wir können KI-Systeme entwickeln, Roboter bauen, zum Mars fliegen und vieles mehr.

Aber: Wir können kein Leben machen, schon gar keins wie das unsere, wo die Lebendigkeit sich bis zum Wissen um gut und böse erstreckt.

Diesem demütigenden Grundzug entspricht umgekehrt ein erhebender: Was wir in unserem Sein sind, das ist immer mehr als alles, was auf bio- oder digitaltechnische Weise modelliert und hergestellt werden kann. Wir sind eben nicht dasselbe wie Maschinen. Wir sind etwas grundlegend Anderes. Wir sind lebendige Wesen – und als Menschen sogar solche Wesen mit praktischer und moralischer Freiheit.

Und hat all das nicht auch etwas Tröstliches? Unsere Lebendigkeit haben wir uns nicht selbst geschaffen. Wir haben sie im Letzten von anderwärts her. Sie ist verdankt. Und aus diesem Ursprung, der jenseits aller Machbarkeit liegt, leben wir. In all unserer Endlichkeit, Verletzlichkeit, physischen und moralischen Gefährdetheit sind wir Träger des Odems Gottes.

Wir sind unendlich mehr als bloße Räder eines unendlichen Getriebes.

Wir sind lebendige Seelen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

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