Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weiteres

Login für Redakteure

Andacht zum Theologischen Studientag


Andacht von Prof. Dr. Friedemann Stengel zum Theologischen Studientag am 17.01.2024 zum Thema "Theologien vor der Herausforderung von Krieg und Gewalt"

Fast auf den Tag genau vor 10 Jahren hatten wir die Theologischen Tage unter das Thema „Kirche und Krieg“ gestellt. Anlass waren damals das 100. Jahr nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 28. Juli 1914, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, und, wie durch ein Wunder, das 50. Jahr nach Einrichtung des waffenlosen Wehrdienstes in der DDR, der Bausoldaten, am 7. September 1964. Beide Daten standen geradezu diametral nebeneinander: der Erste Weltkrieg, der wie kein anderer von allen beteiligten Parteien religiös aufgeladen war, sei es katholisch, protestantisch oder orthodox, sichtbar in den Predigten von Paul Althaus Der Krieg und unser Gottesglaube oder eines Münchener Oberkirchenrats Der heilige Krieg. Das auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite: Während und nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Entstehung einer auch kirchlichen Friedensbewegung, die es vorher eigentlich nur außerhalb der Kirchen gegeben hatte, und die es sehr schwer hatte im gesamten Europa der Zwischenkriegszeit und auch danach kaum Fuß fassen konnte, was man daran sieht, dass es nach 1939 nur fünf namentlich bekannte protestantische Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Gründen gab – das Todesurteil von 1940 gegen den bekanntesten unter ihnen, Hermann Stöhr, ist übrigens erst 1997 aufgehoben worden.

Nicht erst da, sondern mit einer starken Tradition aus der DDR, dann auch in der Friedensbewegung der Altbundesrepublik und im Westen überall nach dem Zweiten Weltkrieg und schließlich auch nach 1989 waren die einst schwachen, pazifistischen Stimmen in den christlichen Konfessionen stark geworden, ja es schien, wir befänden uns im Stadium des Abschieds vom Zeitalter der Kriege.

Als wir 2014 die Theologischen Tage begangen, da hatte das Thema Krieg und Gewalt etwas Museales, vielleicht etwas Exotisches an sich, wie „ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen, man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe treiben. Dann kehrt man abends froh nach Haus und segnet Fried und Friedenszeiten.“ (Goethe, Faust 1). Es war 2014 eher ein Gedenken und eine Erinnerung an eine Vergangenheit, in der Kirchen Steigbügelhalter der kriegsführenden Staaten gewesen waren. Damals, vor 10 Jahren, schienen gegenwärtige Kriege nur in fernen Ländern und völkerrechtlich auf – als responsibility to protect und responsibility to prevent.

Wir müssen uns im Rückblick kollektiv über uns selbst wundern, dass wir die Realität von Kriegen derartig marginalisiert haben. Denn Grosny war schon zwanzig Jahre vorher, 1994, von der russischen Armee zerstört worden, die Massaker von Srebrenica und Sarajevo ein Jahr später, Georgien war 2008 überfallen worden, sieben Jahre vorher Afghanistan, das einen Terroristen nicht freiwillig ausliefern wollte, 2004 völkerrechtswidrig der Irak, und eben 2014 hatte Russland sich die Krim einverleibt und es begann der seitdem andauernde Krieg gegen die Ukraine, am 20. Februar des geradezu musealen Erinnerungsjahres zum Ersten Weltkrieg und zu den Bausoldaten 2014.

So kann es im Nachhinein wirken. Und wir sehen uns mehr als erschrocken an, so als hätte es uns vorher gar nicht direkt betroffen, sondern als sei Krieg erst durch den russischen Überfall auf die Ukraine seit 2022, durch das Massakerpogrom der Hamas und nun durch den Krieg Israels gegen die Hamas mit einer riesigen Zahl toter Zivilisten überhaupt erst relevant geworden.

Auf vielfache Weise wirkt das auf uns, es geht mitten durch Gesellschaft, durch Kirchen und Theologie, in teils großer Schärfe. Es sind längst Fragen geworden, bei denen politische und theologische Dimensionen ineinanderfließen und zuweilen schwer auseinanderzuhalten sind.

Da ist ein Konsens überhaupt nicht in Sicht. Wir positionieren uns und sind auch im Streit.

Wir werden manches davon zu sortieren versuchen an diesem Tag. Dafür braucht es Klarheit und eine Weisheit, die über bloße Rationalität hinausgeht.

Wir haben Worte aus dem Jakobusbrief (3,3-18) gehört, die sehr scharf mit einer bestimmten Form von menschlicher Weisheit ins Gericht gehen: Neid, Streit, Selbstruhm und Lüge – das sind die Marker einer nur vermeintlichen Weisheit, Sophia, die jedoch „irdisch, menschlich und teuflisch ist“. Das führt zu „Unordnung und lauter bösen Dingen“, sagt er. Dem stellt Jakobus eine Sophia gegenüber, die „von oben her ist, zuerst lauter, dann friedfertig, gütig, lässt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei.“

Wenn wir selbst lauter, friedfertig, gütig, barmherzig sind und uns auch etwas sagen lassen, können wir wohl die große Ordnung der Dinge nicht herstellen, die nichts anders sein kann und soll als Frieden. Es hat schon immer Menschen frustriert, nichts tun zu können, sich hilflos zu fühlen im Gang der Welt, und es hat manch zynischen Kommentar hervorgerufen, was wir uns in unserer Bedeutungslosigkeit denn im Großen und Ganzen einen Kopf machen in Fragen des Weltfriedens. Auf der anderen Seite wissen wir, dass die Lauteren, Friedfertigen, Gütigen und Barmherzigen selbst Opfer geworden sind, in Bunkern in der Ukraine, in den Kibbuzim und auch unter den flüchtenden Zivilisten in Gaza.

Lassen wir uns nicht davon abbringen, an diese Weisheit von oben zu glauben und um sie zu bitten, so wenig manchmal davon spürbar zu sein scheint und so sehr wir die Ordnung der Dinge ganz sicher nur in unseren kleinen Kreisen in Ordnung bringen können. Wir brauchen diese Weisheit von oben in schweren Fragen, ich meine vor allem im Blick darauf, wie wir neben und trotz des Friedensgebots Jesu auch das Recht auf Selbstverteidigung zum Schutz von Menschen wahrnehmen, schätzen und unterstützen können. Wir werden gefragt und wir sollen gehört werden. Wir müssen uns einmischen. Dafür bitten wir um den wahren Geist.

Amen

Zum Seitenanfang