Seelenleben - Leibestod (Matthäus 10,16-31)
Predigt von Pfarrer Magnus Koschig zum Semesterschlussgottesdienst am 31. Januar 2024
„Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch eher vor dem, der Seele und Leib in der Hölle verderben kann.“ (Mt 10,28) Ich weiß nicht, wie es Ihnen, liebe Studierende, liebe Lehrende, liebe Gemeinde, mit diesem Satz geht. Für mich birgt er – wie das Thema: „Seelenleben - Leibestod“ – die Gefahr, Leib und Seele gegeneinander auszuspielen, was nicht selten in Leibfeindlichkeit mündet. Und auch das Bild von der Hölle weckt in mir zwiespältige Gefühle. Wurde mit der Hölle nicht allzu oft Angst verbreitet? Wo bleibt da die frohe Botschaft? Und wie passt das Verderben in der Hölle zu einem liebenden, barmherzigen Gott?
Dem ersten Einwand können wir das Semesterthema entgegen halten: „Mit Leib und Seele“. Es ging und geht also nicht um eine verdeckte oder gar offene Leibfeindlichkeit, sondern um die untrennbare Einheit des Menschen. Unsere Würde ist es, leib-seelisch; geistig-körperlich von Gott gewollt und geliebt zu sein. Er hat uns ins Leben gerufen, damit wir in seinem Geist das eigene Leben und die Welt gestalten. Das aber steht auf dem Spiel, wenn wir uns zu sehr von anderen abhängig machen; wenn wir aus Angst vor Konsequenzen die Freiheit der Kinder Gottes aufgeben.
Unsere jüngere Geschichte – am vergangenen Samstag gedachten wir des Holocaust – ist voll von bitteren, ja grausamen Bildern. Sie zeigen, wohin falsche Angst führen kann. Aus Angst vor dem Terror der Nazis wurden zu viele zur schweigenden, grauen Masse. Aus Angst, selbst Opfer zu werden, schauten sie weg, als Millionen in die Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt wurden. Die Angst hatte ihre Seelen aufgefressen und eine Hölle auf Erden entstehen lassen.
Nach dem Krieg, als das ganze Ausmaß der Unmenschlichkeit ans Licht kam und alle dunklen Machenschaften bekannt wurden, waren sich viele einig. Nie wieder sollte sich das wiederholen. Nie wieder?
Nie wieder – das heißt: Fürchtet euch vor denen, die Seele und Leib verderben können. Fürchtet euch vor denen, die dafür sorgen, dass ihr nicht mehr in den Spiegel schauen könnt, weil ihr haltlos geworden seid. Fürchtet euch vor denen, die mit niedrigen Instinkten argumentieren, die euch der inneren Freiheit berauben.
Der Mensch ist Ebenbild Gottes. Er ist zur Freiheit berufen und nur in freier Selbstentscheidung zum Größten, zum Besten fähig: zur Liebe. Wer die Freiheit opfert, opfert die Liebe. Wer aber die Liebe opfert, stürzt sich und andere ins Verderben einer Hölle auf Erden.
In der Hölle der NS-Diktatur haben sich Menschen wie Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp und Carl Lampert ihre Würde bewahrt. Sie haben die Segel ihres begrenzten Lebens, das Segel ihrer Seele, hineingehalten in die unendliche Weite der Liebe Gottes. Mit gefesselten Händen schrieb Alfred Delp aus der Todeszelle: „In diesen Wochen der Gebundenheit habe ich dies erkannt, dass die Menschen immer dann verloren sind und dem Gesetz ihrer Umwelt, ihrer Verhältnisse, ihrer Vergewaltigungen verfallen, wenn sie nicht einer großen inneren Weite und Freiheit fähig sind. Wer nicht in der Atmosphäre der Freiheit zu Hause ist, die unantastbar und unberührbar bleibt, allen äußeren Mächten und Zuständen zum Trotz, der ist verloren. Der ist aber auch kein wirklicher Mensch, sondern Objekt, Statist, Nummer, Karteikarte.“1
Davor sollten wir uns fürchten: die Freiheit aufzugeben und Objekt, Spielball fremder Mächte zu werden. Davor sollten wir uns fürchten, angetrieben und verführt von Demagogen, zu einer seelenlosen Masse zu verkommen, die auf primitivste Instinkte reagiert.
Woher aber können wir die Kraft nehmen, um gegen den Strom zu schwimmen? Woher gewannen Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp und Carl Lampert, der wegen seines Einsatzes für Menschen und für den Glauben am 13.11.1944 hier in Halle im Roten Ochsen enthauptet wurde, ihre innere Festigkeit?
Sie hielten sich an Jesus, der uns auf Gott, den himmlischen Vater, die schöpferische Geistkraft verweist. Haltet euch an Gott, dann werdet ihr gehalten. Sucht ihn in eurem Inneren, denn er trägt euch, wenn alles unerträglich zu sein scheint.
Wer im Bewusstsein lebt, aus Gott zu kommen, mit ihm zu leben und in ihm vollendet zu werden, muss keine Macht dieser Welt fürchten. Wer sich von Gott liebevoll angesehen weiß, genießt unendliches Ansehen, egal, was andere von ihm denken.
Liebe Studierende, liebe Lehrende, liebe Gemeinde, wenn wir nicht wollen, dass finstere Kräfte uns wieder verderben in einer Hölle auf Erden, müssen wir die Angst vor ihnen überwinden. Wenn wir nicht wollen, dass Vertreibung und Vernichtung wieder die Oberhand gewinnen, müssen wir den Hass-Predigern unseren Glauben entgegenhalten.
Wir glauben an Gott, der Quell aller Liebe ist. Er sieht jeden Menschen liebevoll an, egal, woher er kommt und was er glaubt, damit alle mutig dem Leben dienen. Wir glauben an Gott, die Schöpferin. Sie stärkt uns, damit wir uns für die Würde aller einsetzen und das uns Mögliche tun, um das Angesicht der Erde zu verbessern.
Lasst uns in diesem Glauben feststehen, wenn es darum geht, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen. Lasst uns in diesem Glauben alle Menschenfurcht überwinden, wenn es darum geht, klar und deutlich Stellung zu beziehen gegen die Anpassung an den Ungeist von Ausgrenzung und Anfeindung. Und lasst uns zuversichtlich auf Jesus schauen, der uns gezeigt hat, dass wir unendlich wertvoll sind.
Amen.
1 Alfred Delp, Gesammelte Schriften, Band IV: Aus dem Gefängnis, hg. von Roman Bleistein. Frankfurt 21985, S.216ff.