Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Heiliger Krieg (Joel 4,9-18)


Predigt von Prof. Dr. Rüdiger Lux im Universitätsgottesdienst am 7. Mai 2023

Liebe Gemeinde!

Am Morgen des 24. Februar 2022 trat Außenministerin Annalena Baerbock an das Pult des Bundestages und erklärte: »Heute Morgen sind wir in einer anderen Welt aufgewacht.« Sind wir das, wirklich? Drei Tage später begann Kanzler Olaf Scholz seine dramatische Grundsatzrede mit den Worten: »Wir erleben eine Zeitenwende.« Ist das so? Es herrscht Krieg in Europa. Apokalyptische Szenarien wurden und werden beschworen. Verlieren wir den Boden unter den Füßen? Wir, hin- und hergerissen zwischen Zeitenwende und Zeitenende? Sind wir bereits Kinder der »letzten Generation?« Wo sind Halt und Rat zu finden? Wer hat das rettende Wort? Sind es die Propheten Israels?

Da wären Micha und Jesaja, zwei treue Zeugen des Gottes Israels, die uns zurufen: »Schwerter zu Pflugscharen«! Dafür sind wir schon vor mehr als vierzig Jahren auf die Straße gegangen, auch in dieser Stadt! Und was damals richtig war, kann doch heute nicht falsch sein. Heute Abend jedoch will der Prophet Joel gehört werden: »Heiligt den Krieg, weckt die Helden, Pflugscharen zu Schwertern.« Wie befremdlich ist das denn? Ist Joel ein Spötter, der ein Prophetengezänk vom Zaune brach? Joel, ein Antipode Jesajas und Michas, der ihre Friedensbotschaft »Schwerter zu Pflugscharen« ad absurdum führte? Joel ein Bellizist, der sich gegen die prophetischen Pazifisten und ihre Naivität in Stellung brachte? Raucht einem da nicht der Schädel, wenn man die Bibel liest? Was gilt denn nun – »Schwerter zu Pflugscharen« oder das Gegenteil? Wenn ich das nur wüsste!

Als ich über der Vorbereitung dieser Predigt saß dachte ich manchmal: Ach, Joel, si tacuisses, philosophus mansisses – wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben. Und dann las und hörte ich von denen, die da sagen: Mögen doch die Propheten Israels streiten. Wir folgen allein Jeschua, dem Messias aus Israel und seinen Worten: »Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen« und »Liebet eure Feinde«. War das, ist das also die Lösung, das Wort Jesu, Richtschnur des Lebens und einziger Weg zum Frieden?

Aber dann musste ich an all die ukrainischen Kinder denken, die von ihren Eltern getrennt, nach Russland verschleppt und zur Zwangs-adoption freigegeben wurden, ihr Leid und ihre Tränen. Und da stellte sich wie von selbst ein anderes Wort Jesu ein: »Wer aber einem dieser Kleinen, die an mich glauben, ein Ärgernis gibt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein um seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.« Wie weit also reichte die Feindesliebe Jesu? Spricht da nicht der zornige Jesus, der mich in Pflicht nimmt alles zu tun, um denen beizustehen, die sich schützend vor die Kinder stellen? Sie – wenn nötig – auch mit Gewalt vor Schlimmerem zu bewahren, um dem Bösen zu widerstehen?

Ja, liebe Schwestern und Brüder, die Bibel und auch das Wort Jesu, sie lassen sich eben nicht auf Parolen reduzieren. Die Bibel ist ein Buch des Lebens. Und das Leben vollzieht sich nun einmal nicht im Austausch von flotten Sprüchen. Es ist kompliziert und widersprüchlich. Das Leben verlangt mehr, nämlich Herz und Hirn und Hand. Wenn man eines von den Propheten Israels lernen kann, dann dies, dass Gott für jede Zeit seine eigenen Propheten und sein eigenes Wort hat. Dass das, was gestern richtig war, heute falsch sein kann. Wenn Joel, der Prophet und Schriftgelehrte, der die Worte seiner Vorgänger Jesaja und Micha genau studiert hatte, von einem überzeugt war, dann wohl davon, dass Gott kein Prinzip ist, sondern eine lebendige Hoffnung, die mit uns geht durch Zeit und Geschichte.

Und daher versuche ich auch die Wort Joels als solch eine lebendige Hoffnung zu lesen. Denn wie die Propheten vor ihm hoffte auch er auf den großen, gewaltigen »Tag JHWHs«, darauf, dass der Gott Israels doch endlich eingreifen möge in die blutigen Dramen der Geschichte. Dass er all dem Kriegsgeschrei ein für allemal ein Ende machen möge. Und daher fordert er im Namen Gottes die Völker auf: »Heiligt den Krieg, weckt die Helden, Pflugscharen zu Schwertern und Winzermesser zu Lanzen! […] Selbst der Schwächling, soll er sich doch brüsten […]: Ein Held bin ich.« Was wird’s ihm nützen? Will er mir, JHWH, etwa Furcht einjagen? Kommt nur, ihr verschlafenen Helden der Völker, rüstet, was das Zeug hält. Steigt hinab in das Tal Joschafat, da erwarte ich euch bereits als Richter. Joschafat, das heißt ja nichts anderes als »JHWH richtet«. Er ruft euch zum letzten Heiligen Krieg im Tal der Entscheidung. Was wollt, was könnt ihr schon ausrichten, ihr Völker gegen diesen Richter der Welt?

Spricht aus alledem nicht eine feine Ironie Gottes, wie die Kommentatoren immer wieder meinen? Ja, das mag wohl sein. Aber es ist ein Humor, eine Ironie hinter der ein heiliger Ernst steht. Es ist der Ernst der Endzeit, der Ernst des »Tages JHWHs«, an dem der Richter die Sichel schwingt und die Ernte einbringt. Es ist der Tag, an dem Sonne und Mond in Dunkelheit versinken und Gott vom Zion her brüllt wie ein Löwe. Endzeit! Im letzten Gefecht bekommen es die kriegerischen Völker mit Gott selbst zu tun. Er  hat das letzte Wort. Dann stellt sich JHWH ein für allemal auf die Seite der Opfer, seines geschundenen Volkes, das zum Spielball der Völker wurde. Und er wird ihm zur Zuflucht und zur Festung. Dann ja, dann werden die Opfer Frieden haben in ihrem Land, das von Most und Milch überfließt. Was für ein gewaltiges Gemälde der Hoffnung!

Liebe Schwestern und Brüder: Endzeithoffnungen der Propheten Israels sind das, ausgemalt in vielen Farben. Und in welchen Farben auch immer den Propheten die Endzeit erschien, ob in dem leuchtenden Friedensappell »Schwerter zu Pflugscharen« oder der harten Aufforderung zur letzten Entscheidungsschlacht, »heiligt den Krieg, Pflugscharen zu Schwertern«, in einem waren sie sich einig: Gott wird es sein, der das Urteil über die Geschichte spricht und nicht der Mensch. Und dieser Gott Israels stellt sich auf die Seite der Opfer. Dann wird Frieden sein, ewiger Frieden.

Wir aber, liebe Freunde, noch leben wir in der Jetztzeit. Noch haben Sonne, Mond und  Sterne ihren Glanz nicht eingebüßt. Noch lebt der Mensch im Wechsel der Zeiten von Krieg und Frieden. Noch muss er wählen zwischen gut und böse. Noch ist er frei, der Mensch, sich zwischen richtig und falsch zu entscheiden. Und diese herrliche Freiheit ist etwas Großes und Mühsames zugleich. Noch wissen wir nicht, wie das letzte Urteil lautet, das Gott uns einmal spricht. Wir, Kinder der Jetztzeit, wir gehen mit der lebendigen Hoffnung durch die Zeiten, dass Gott einmal den dunklen Vorhang, der vor der Geschichte hängt, zerreißen wird. Jetzt, im Vorletzten können wir nicht mehr tun als nach bestem Wissen und Gewissen für den kleinen Frieden zwischen den Zeiten des Krieges zu arbeiten und treue Beter zu sein. Und ob wir dabei in die Irre gehen, oder auf dem Weg der lebendigen Hoffnung der Propheten geblieben sind, das wird sich wohl erst am »Tag JHWHs« zeigen, dem Tag des Gerichts und des großen, ewigen Friedens. Denn Menschen sind wir und nicht Gott. »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel« sagt der Apostel Paulus, »dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleich wie ich erkannt bin.« Mehr also als die Arbeit und das Gebet für den kleinen Frieden zwischen den Zeiten ist uns nicht gegeben. Alles andere wäre menschliche Hybris. Denn die letzten Dinge, der große, ewige Frieden, er ist in den Händen Gottes allemal besser aufgehoben als in den Händen der Menschen.

Liebe Schwestern und Brüder, als Imanuel Kant 1795 seine Schrift »Zum ewigen Frieden« verfasste, da hat er den Titel von einem Wirtshausschild übernommen, einer Kneipe die direkt neben einem Friedhof lag. Während die Toten im ewigen Frieden der Gräber schlummerten, sammelten sich die Trauergesellschaften und Hinterbliebenen im Wirtshaus zum Leichenschmaus. Es hilft ja alles nichts, das Leben muss weitergehen. Der Sieg des Todes muss wieder und wieder durch’s Leben gebrochen werden. Geborenwerden und Sterben, Krieg und Frieden, Tod und Leben, das sind die beiden Ufer zwischen denen der breite Strom fließt, den man Geschichte nennt. Wo also werden wir ihn einmal finden, den ewigen Frieden auf dem Friedhof oder im Wirtshaus, im Tod oder im Leben?

Bei keinem anderen finden wir ihn als bei dem, der selbst der Frieden ist. Deswegen hat ein katholischer Pater einmal die Kirche als das Wirtshaus Gottes bezeichnet, denn in ihr geht es ja um mehr als nur um den kleinen Frieden, um  das Vorletzte. Wo ist denn sonst die Reden von den letzten Dingen, wenn nicht in der Kirche? Das mag wohl richtig sein. Aber manchmal, liebe Schwestern und Brüder, manchmal kann man auch im Vorletzten, in einem gut geführten irdischen Wirtshaus einen Vorgeschmack vom ewigen Frieden finden. Manchmal!

Denn der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft und uns im Leben und Sterben näher steht als Sonne, Mond und Sterne, der bewahre euch von Zeit zu Zeit bis an das Ende der Tage.
Amen

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