Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Friedensvertrag (1. Mose 9, 12-17)


Predigt von Prof. Dr. Helmut Schwier im Universitätsgottesdienst am 11. Juni 2023 in der Schlosskirche Wittenberg

Der Predigttext für diesen Gottesdienst steht im 1. Buch Mose im 9. Kapitel (12-17):

Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe. Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, das auf Erden ist. Und Gott sagte zu Noah: Das sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch auf Erden. (Gen 9,12-27)

Liebe Gemeinde,

Lieben Sie den Regenbogen? Ich liebe ihn. Im Frühjahr hatten wir dieses Jahr ja oft kräftige Gewitter. Und wenn dann die Sonne kommt... welch ein Erlebnis! Manchmal ein richtig voller Bogen am Horizont, die ganze Erde umspannend. Mitunter sogar ein zweifacher oder gar dreifacher Bogen. Ein Fest für Fotographen und andere Augenmenschen!

Auch wenn ich physikalisch erklären kann, wie und unter welchen Bedingungen er entsteht… Der Regenbogen lässt mich immer wieder staunen. Ich sehe in ihm das helle Licht, aufgefächert in seine sieben bunten Farben: violett, dunkelblau, hellblau, grün, gelb, orange und rot. Ein heftiges Gewitter: Sogar in unseren Breiten auch bedrohlich für Leib und Leben; und dann der Regenbogen, der Licht, Leben und Zukunft verspricht!

Der Regenbogen lässt Menschen staunen. In vielen Religionen und Weltanschauungen wird er als Hoffnungszeichen angesehen – bis hin zur Friedensfahne und zum Erkennungszeichen der Queer-Community.

Der Regenbogen lässt mich ahnen: Das Leben soll bunt sein, vielfältig, frei und voller Möglichkeiten.

Wir wissen und erfahren alle: so ist das Leben – meist – nicht. Mein Leben hat Zwänge, ist von anderen stark mitbestimmt, stößt auf harte und schmerzliche Grenzen – mitten im Alltag und angesichts von Unrecht und Marginalisierung und angesichts des Todes, des Sterbens meiner Lieben und anderer. Da kann der Regenbogen eine Illusion sein, ein trügerisches Hoffnungszeichen. Thomas Müntzer, Luthers radikaler Gegner, wollte Unrecht beseitigen, aber führte seine Leute mit einer Regenbogenfahne 1525 in den Krieg und ins Verderben. Seine Fahne kann man heute noch im Museum in Mühlhausen anschauen. Religion, christliche zumal, kann Menschen verführen, Tod und Elend bringen – auch bei den besten Absichten.

Ich frage: Welche Maßstäbe und welche Orientierung gibt der Bibeltext von Gottes Bund mit Noah? Finde ich hier etwas, das mich das Leben verstehen und besser führen läßt und mich nicht betrügt?

Dazu drei Gedanken:

1) Der Bogen Gottes – was für ein Bogen ist das?

Der Bibelabschnitt macht klar: Der Bogen Gottes ist im Himmel, zwischen den Wolken. Er wird sichtbar nach dem Wolkenbruch. Er ist der Regenbogen.

So weit so gut. Aber das hebräische Wort für Bogen wird sonst ausschließlich für den Jagd- und Kriegsbogen verwendet. Der Bogen ist eine Waffe. Wenn Gott seinen Bogen in die Wolken hängt, ist dies ein Zeichen von Macht. Gott könnte, wenn er wollte, seine Macht erneut nutzen wie in der Sintflut, so diese Deutung. Gott hat die Macht, sich universal durchzusetzen – auch gegen den Menschen. Dann ist der Regenbogen verbunden mit einer ernsten Drohung. Seht euch vor, wenn ihr ihn seht!

Jedoch gibt es noch eine deutlich andere Variante der Deutung. In der antiken Welt, zum Beispiel bei den Assyrern, waren besondere Kriegsbögen im Gebrauch, die wir heute noch auf alten Darstellungen sehen. Im Krieg hatten sie eine besondere Form und Spannung. Sie sahen nicht aus wie früher unsere Flitzebogen beim Indianerspiel. Sie waren gegen die Rundung gebogen und wurden so von der Sehne gehalten. Da flogen die Pfeile noch stärker und schneller. Wenn man aber ihre Sehne entfernt, die Spannung auflöst, dann nehmen sie wieder eine halbrunde Form zur anderen Seite an. Der halbrunde Bogen ohne Sehne ist nicht mehr oder zumindest nicht ohne weiteres einsatzfähig. Der halbrunde Bogen ohne Sehne ist wie der Regenbogen. Er ist ein Zeichen des Friedens, nicht der Drohung. Wie Schwerter zu Pflugscharen werden, wird Gottes Bogen zum Friedensbogen! Seid zuversichtlich, wenn ihr ihn seht!

2) Gottes Bund fürs Leben

Gott schließt nach der Sintflut und der Rettung Noahs, seiner Familie und der Tiere einen neuen Bund. Wir lesen: Dies ist ein Bund nicht nur mit Noah, sondern auch mit seinen Kindern. Warum? Sie gelten als die Stammväter und -mütter aller Menschen und Völker der Erde. Deshalb gehören auch wir in diesen Bund hinein. So wie Gott seine Sonne scheinen lässt über alle Menschen, Gerechte und Ungerechte, Glaubende und Zweifelnde, Große und Kleine, so umfasst sein Friedensbogen alle Menschen – unabhängig von Geschlecht, Nation oder Religion, Herkunft und Prägung. Allen gilt der Bund des Friedens.

Noch einen Schritt weiter: Gottes Bund gilt nicht nur den Menschen, sondern allen Lebewesen auf Erden. Wir Menschen sind nicht die Krone der Schöpfung, nein – wie Tiere und Pflanzen sind wir Teil der Schöpfung. Zur Schöpfung gehören Naturgesetze, Ordnungen, Systeme. In unserer Welt begreifen wir schrittweise, aber immer deutlicher, wie die Ordnungen und Systeme des Lebens ineinandergreifen. Und wie gefährdet ihr Gleichgewicht ist! Das gilt ökologisch, aber auch für den sozialen und privaten Zusammenhalt in unserem Land, in der Kirche, in den Familien.

Die biblische Botschaft lautet: Gottes Bund ist ein Bund fürs Leben. Er schwört allen Lebewesen ewige Treue. Von ihm geht keine Vernichtung mehr aus. Das Ziel seines Bundes ist das Leben in seiner Buntheit und Fülle.

Aus unseren Lebensgeschichten wissen wir: zum Bund des Lebens und zum Treueschwur gehören wenigstens zwei. Gott braucht ein Gegenüber, sucht Partnerinnen und Partner.

3) Gottes Partnerinnen und Partner gesucht

Bevor wir jetzt vorschnell meinen und sagen: Hier bin ich; ich bin Gottes Partner und will für Frieden und Lebensfülle einstehen – braucht es einen theologischen Zwischenschritt, braucht es einen klaren und kritischen Blick auf die Realitäten unserer Welt und unseres Lebens. Leichter wird es dadurch nicht.

Die Noahgeschichte wird erzählt, damit wir verstehen, wie Gott das Leben sieht und wie er sich ändert. Gott hat die alte Welt voller Ungerechtigkeit, Brutalität, Unterdrückung durch die Sintflut zerstört, aber einige Menschen und Tiere in der Arche gerettet. Nicht die totale Zerstörung, sondern ein Neuanfang ist Gottes Plan. In seinem Bund verspricht er, die Welt nicht mehr zu zerstören. Gott ändert sich: vom zornigen Zerstörer zum Retter und Erhalter der Welt.

Und die Menschen in der Welt nach Noah? Man könnte meinen, sie, also wir, sind jetzt als Zerstörer unterwegs. Natur und Klima geraten unter Druck – durch uns. Globale Erwärmungen führen zu Überschwemmungen und zur Dürre. Und Menschen, deren Trachten von Grund auf böse ist, zerstören den Kachowka-Staudamm und verursachen eine eigene Sintflut mit unendlichem Leid für Menschen, Tiere und Umwelt.

Wer Gottes Partner werden will, halte zunächst inne, gebe Rechenschaft sich selbst und Gott: Ja, Gott, du meinst es gut mit der Welt und mit mir. Aber ich kann es nicht. Bei dir ist das Licht mit seinen Regenbogenfarben, aber bei mir ist Dunkelheit, in meinem Herzen und in meiner Seele. Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten.

Wer Gottes Partnerin wird, begreift: Gott hat sich geändert, wurde vom Zerstörer zum Retter und Erhalter. Und in seinem Sohn Jesus Christus hat er es für alle Menschen erneut bestätigt: ich rette und erhalte Euch, im Leben und im Sterben und darüber hinaus; schenkt mir euer Vertrauen.

Wer Gottes Partnerin und Partner ist, erinnert sich an Gottes Versprechen im Zeichen des Regenbogens: an Gottes Frieden und seinen Bund fürs Leben.

Dieses Erinnern vertieft mein Staunen. Ich liebe den Regenbogen; und ich werde dankbar für Gottes Treue zu den Menschen und der Welt.

Dass ich bin und lebe, lieben und lachen kann – danke, Gott!

Dass ich Aufgaben habe, verantwortlich bin in unterschiedlichen Bereichen – dazu öffne mir Gott Augen und Herz und stärke mich, dass ich meine Trägheit überwinde und aktiv werde.

Niemand von uns kann den Frieden in der Ukraine herstellen, niemand allen Hunger beseitigen, niemand alles Unrecht und alle Unterdrückungen beseitigen. Hier nicht zu handeln, ist allerdings christlich nicht möglich.

Die Kirche handelt, z.B. in der Diakonie. Und auf dem Kirchentag bietet sie Räume zur politischen und ethischen Diskussion, auch zum strittigen Ringen um die konkreten politischen Schritte zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung des Lebens. Und ich kann handeln und wirken in meinem Umfeld: für das Leben der Schwachen und der an den Rand Gedrückten, für den Frieden, für Fairness, für Aufrichtigkeit, für Abgeben und Teilen.

Und manchmal braucht es auch verrückte Ideen. So wie Martin Luther die entflohene Nonne Katharina von Bora heiratete. Ein Bund fürs Leben mitten in der auseinanderdriftenden Welt! Ein Vertrauenszeichen mitten in den Untergangsszenarien!

Gott ändert sich. Und wir können das auch. Gott liebt das Leben. Tun wir es ihm gleich! Oder wie es bei der Eröffnung des Kirchentages hieß: nicht zoffen und krachen, sondern hoffen und machen!

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, halte euren Verstand wach und eure Hoffnung groß und stärke eure Liebe zueinander.
Amen

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