Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weiteres

Login für Redakteure

Schwerter zu Pflugscharen (Micha 4,1-5)


Predigt von Prof. Dr. Peter Imming im Universitätsgottesdienst am 4. Juni 2023

Liebe Universitätsgemeinde, liebe Gäste!

Im heutigen Bibeltext ragen die Ausdrücke "Schwerter zu Pflugscharen" und "Spieße zu Sicheln" heraus. Sie sind zur Redewendung und zum Motto von Friedensinitiativen geworden. Ich will den Text in zweierlei Hinsicht auf unser Leben einwirken lassen: Erstens: Wieso können wir hoffen, dass Friede wird? Und was hat Gott damit zu tun? Zweitens: Welche Schwerter und Spieße gibt es im Universitätsleben, die besser als Pflugscharen und Sicheln verwendet werden, und wie formen wir sie dahin um?

Bevor wir untersuchen, was wir aus dem Text für heute lernen können, lassen wir uns darauf ein, was er den Menschen sagen wollte, an die er direkt gerichtet war.

Zum Ersten.

Vom Autor namens Micha wissen wir über sein knapp fünf Druckseiten und sieben Kapitel langes Büchlein hinaus fast nichts. Seine Botschaften sind aber ebenso verständlich wie zeitlos. Zu wem sprach er? "Hört, ihr Völker, merke auf, Erde und alles, was sie füllt!" heißt es gleich zu Anfang seiner Reden. Was sollen sie hören? Dass der Herr, Gott, von seiner Stätte herabsteigt und Gericht über Verbrechen bringt. Die schlechte Nachricht darin: Dass Verbrechen verübt wurden und keiner einschritt. Die gute Nachricht: Dass Gott einschreitet. Um welche Verbrechen ging es? Ich zitiere aus Kapitel 2: "Weh denen, die Unheil planen und gehen mit bösen Gedanken um auf ihrem Lager, dass sie es frühe, wenn’s licht wird, vollbringen, weil sie die Macht haben! Sie begehren Äcker und nehmen sie weg, Häuser und reißen sie an sich. So treiben sie Gewalt mit eines jeden Hause und mit eines jeden Erbe." Raub und Diebstahl waren an der Tagesordnung. Wer tat so etwas? Waren es arme Menschen, die sich in ihrer Not nicht anders zu helfen wussten? Nein, es waren "Häupter", "Anführer", "Priester" und "Propheten" der damaligen Kleinstaaten Israel und Juda. Die politische und religiös-ideologische Führungsschicht beging diese Verbrechen. Die Folge von Korruption und bewusster Sünde von Menschen in leitender Funktion ist oftmals ein allgemeiner moralischer Verfall, der auch andere Gesellschaftsschichten erfasst. Daher klagte Micha: "Ach, es geht mir wie einem, der Obst pflücken wollte, der im Weinberge Nachlese hielt, doch keine Traube gab’s zu essen, keine Frühfeige, nach der ich verlangte! Die frommen Leute sind weg in diesem Lande, und die Gerechten sind nicht mehr unter den Leuten. Sie lauern alle auf Blut, ein jeder jagt den andern, dass er ihn fange. Ihre Hände sind geschäftig, Böses zu tun." (Micha 7,1-4)

Misstrauen beherrschte die Beziehungen der Menschen untereinander - begründetes Misstrauen. Manche prassten noch, aber ihr Reichtum war erpresst und geraubt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Micha mit seinen Botschaften viele Freunde machte. Trotzdem verkündete er sie. Warum? Erstens, weil die Missstände faktisch existierten und er seine Mitmenschen zur Umkehr bringen wollte. Zweitens, weil er seine Mitmenschen vor dem richtenden, gerechten Einschreiten Gottes warnen wollte. Drittens, weil er eine Lösung sah.

Die Lösung, die Micha sah, war im verlesenen Predigttext erkennbar. Diesen erlösenden, hoffnungsvollen Sätzen standen allerdings die folgenden Sätze voran, die wir auch hören müssen, um den Zusammenhang zu kennen. Micha schrieb: "So hört doch dies, ihr Häupter im Hause Jakob und ihr Herren im Hause Israel, die ihr das Recht verabscheut und alles, was gerade ist, krumm macht; die ihr Zion mit Blut baut und Jerusalem mit Unrecht. ... [Um euretwillen wird] Jerusalem zu Steinhaufen werden und der Berg des Tempels zu einer Höhe wilden Gestrüpps." (Micha 3,9-12). Diese Sätze stehen direkt vor denen, die wir in der Lesung hörten. Ich wiederhole einen Teil der Lesung, damit wir den Kontrast vor Augen haben: "Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hat’s geredet." (Micha 4,3-4).

Woher bei Micha der plötzliche Wechsel der Erwartung? Von Verzweiflung, dass das Land verwüstet wird, zu einer wunderbaren Friedensvision? Wenn wir jetzt seinen Lösungsweg anschauen, dann in der Hoffnung, dass seine Hoffnung zu unserer wird. Micha hatte begründete Hoffnung. Er mahnte nicht aus Verzweiflung. Christen haben begründete Hoffnung. Daraus leben, singen, wirken, lieben und warnen wir in der jetzigen Zeit.

Zum Zweiten.

Michas Hoffnung gründet sich auf Gott und dass wir Menschen auf Gott hören. Viermal fordert er in seinen Reden auf: "Hört!" und gliedert damit seine Botschaft.

Michas Analyse ist nicht neu und nicht nur bei ihm zu finden. Der Mehrwert besteht darin, dass er Gott nicht nur ins Gespräch bringt, sondern auf Gott hört. Gott der Herr ist Michas Licht. Er sagt es so: "Wenn ich auch darniederliege, so werde ich wieder aufstehen; und wenn ich auch im Finstern sitze, so ist doch der HERR mein Licht." (Micha 7,8) Gott ist die gute und notwendige Person, um Menschen und Menschheit aus unserer Fixierung auf uns selbst herauszuholen. Für Micha war es wahrscheinlich selbstverständlich, dass es Gott gibt. Das ist aber nicht genug. Gott als unbekannte Größe hilft nicht weiter. Sondern: Wer ist Gott konkret? Micha hatte offenbar Kontakt mit Gott und teilte, was er wusste: Erstens ist Gott ein gerechter Richter. Gott sei Dank! - sonst blieben sehr viele Verbrechen ungesühnt, weil gerade die schlimmsten Übeltäter sich der menschlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen wissen, zum Beispiel indem sie Richter bestechen oder bedrohen. Zweitens ist er ein Gott, der vergibt. In Michas Worten: "Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade!" (Micha 7,18) Vor allem Gottes Vergebungsbereitschaft begründet Michas Zukunftshoffnung. Drittens sagt Gott uns, was gut und richtig ist: "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott." (Micha 6,8) Die Botschaft Michas, die Sache mit Gott und die Botschaft von Jesus ist nicht kompliziert. Aber es gibt etwas in uns, das sich hartnäckig sträubt, Frieden zu machen mit Gott und Ihm zu vertrauen. Der gängige Ausdruck "an Gott glauben" trifft gar nicht, worum es geht. Es geht um eine personale Beziehung, nicht um eine mehr oder weniger bewiesene Sache. Statt "an Gott glauben" gebe ich uns die Formulierung "Gott glauben" mit. "Gott glauben" ist dasselbe wie "Gott vertrauen", so wie man auf der zwischenmenschlichen Ebene einer anderen Person glaubt und vertraut. Ich glaube nicht an meine Frau, sondern ich glaube und vertraue ihr und sie mir für die Beziehung, in der wir stehen. So ist es auch in Freundschaften, so ist es zwischen Eltern und Kindern. Menschen kann man nicht immer und nicht sicher vertrauen, nicht einmal sich selbst. Aber Gott kann man vertrauen. Das war Michas Lebensanker in einer Umgebung, wo das Zusammenleben durch menschliches Fehlverhalten aufs Äußerste gefährdet war: "Sie lauern alle auf Blut, ein jeder jagt den andern, dass er ihn fange. Ihre Hände sind geschäftig, Böses zu tun. " (Micha 7,2-3) Dagegen Michas Ausruf der Hoffnung: "[Der Herr] wird mich ans Licht bringen, dass ich meine Freude an seiner Gerechtigkeit habe." (Micha 7,8)

So weit die meines Erachtens wichtigste Anregung des Predigttextes: Gott vertrauen, Frieden machen mit Gott. Ein Mensch, der sich immer um sich selbst dreht, wird psychisch nicht gesund bleiben. Eine Menschheit, die sich immer um sich selbst dreht und durch gegenseitige Appelle oder Zwangsmaßnahmen von Gier, Hass und Ausbeutung abbringen will, wird dabei nicht gesunden. Wir brauchen eine reale, gute, unparteiische Bezugsperson für uns alle. Michas Gott ist es.

Zum Dritten.

Nun zum heikelsten Teil der Predigt: Welche Schwerter und Spieße gibt es an einer Universität, die zu Pflugscharen oder Sicheln werden können und sollten? Ich erinnere an den Predigttext und seinen Kontext: Die Umwandlung findet statt, wenn Gottes Vorgaben Gehör finden und er Recht spricht.

Die Schwerter und Spieße sollen nicht weggeworfen, sondern in Gerätschaften für die Gewinnung von Lebensmitteln umgedengelt werden. Kennen Sie das alte Wort "dengeln"? Es bedeutet, eine Sichel zu schärfen. Auch Pflugscharen und Sicheln müssen scharf sein. Es geht also nicht darum, im übertragenen Sinn mit bloßen Händen oder stumpfen ungeeigneten Gerätschaften zu arbeiten. Sondern wir sollen mit guten Geräten bessere Ziele als Streit, Kampf, Mord und Krieg verfolgen. Ich werde drei Umfunktionierungen gebräuchlicher Universitätsinstrumente zu nennen wagen - wagen, weil ich nicht der Universitätsleitung angehöre und mir nicht herausnehmen werde, mindestens ungefragt Ratschläge zu geben. Natürlich habe auch ich Verantwortung für Menschen, Geld und Arbeitsmittel.

Erstes Beispiel. Setzen wir unsere Kräfte und Zeit als Schwerter und Spieße für den Einzelkampf ein oder für das gebündelte gemeinsame Arbeiten? Dieses Beispiel liegt auf der Hand. Kooperieren Studentinnen und Studenten und versuchen, einander beim Lernen, Schreiben und Arbeiten im Labor zu helfen? Gibt es beim Erstellen von Gruppenarbeiten einzelne, die schön bequem von der Mühe anderer profitieren möchten? Freuen wir uns ehrlich, wenn der Forschungsantrag einer Kollegin bewilligt wird? Ein Kollege eine tolle Veröffentlichung hat? Wenn nicht, dann ist das Schwert des Neides schon gezückt. Wie wir sicher alle wissen, ist das ein Schwert, das zuerst den sticht, der neidet.

Zusammenarbeit fordert bei Lehrenden und Lernenden die Mühe des Kennenlernens, der inhaltlichen Abstimmung und der Komplementarität der Arbeiten. Wo sie nicht gelingt, sind zu oft persönliche Animositäten der Grund, weniger inhaltliche Fragen. Kriege und Streitigkeiten sind sichtbare Folgen dessen, was vorher in uns gärte: Neid, Gier, Wut, Unwilligkeit zu teilen. Auch die Unwilligkeit zu bitten, statt an sich zu reißen. Wer hilft mir gegen mich selbst? Gegen diesen festsitzenden Egoismus? Das eigene Ich kann Egoismus nicht abschaffen. Es würde sich selbst dabei mit abschaffen. Micha wusste eine bessere Lösung. Er sah Gott als wegweisende Instanz. Nur in einer Atmosphäre, in der Gott gehört wird und Gottes Wort entscheidet, kann dauerhafter Friede entstehen und bleiben. "Sie werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen", hatten wir gehört. Ist es nicht naiv, Ränkespiele nicht mehr zu lernen? Doch, aber naiv ist besser als clever. Der griechische Historiker Thukydides schrieb im 5. Jahrhundert v.Chr.: "Im allgemeinen lässt sich ein Mensch lieber kluger Bösewicht als ein anständiger Dummkopf nennen. Des einen schämt er sich, mit dem andern brüstet er sich." (Peloponnesicher Krieg 3,82). Diese Analyse steht in seiner sogenannten Pathologie des Krieges. Krieg ist pathologisch. Er macht Opfer wie Täter krank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Studentinnen und Studenten: Lassen wir uns von Gott vergeben, heilen und unterweisen.

Zweites Beispiel. Als Professor und Dozent hat man relativ viel Freiheit, seine Zeit einzuteilen. Man hat nicht viel Zeit, ist aber flexibler in der Gestaltung als manch andere Berufsgruppen. Ich kann das sozusagen als Spieß benutzen, um Fragesteller abzuwehren. Oder ich kann Zeit frei"schaufeln" (auch ein friedliches Gartengerät), um mich einem Menschen zuzuwenden, der in der Tür steht, obwohl ich gerade schreiben,  lesen, entspannen oder etwas anderes ohne direkte Kommunikation tun will. Ähnlich im Umgang mit wissenschaftlichen Mitarbeitern: Wir können sie benutzen, Arbeiten zu machen, die primär den eigenen Karrierezielen dienen. Das fühlt sich vielleicht wie eine Pflugschar an, ist aber eine zweischneidige Sache, wie man sicher sofort versteht. Besser wirken wir darauf hin, dem Mitarbeiter ein "Feld" zur Verfügung zu stellen oder sich zu erarbeiten, auf dem er, vielleicht auch ich Erträge einbringen kann. Das ist dann nicht zweischneidig, sondern ertragssteigernd. Um nicht pessimistisch zu wirken: Das gibt es ganz oft. Es gibt aber mindestens ebenso oft eine Großzügigkeit Höhergestellter, die mit Kleinigkeiten abspeist und dafür noch große Dankbarkeit einfordert. "Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen?" übersetzte Luther einen Satz aus dem Propheten Jeremia (17,9).

Drittes und letztes Beispiel, welche Universitätsschwerter zu Universitätspflugscharen werden sollten. Schwerter zertrennen; Pflugscharen auch. Schwerter geben dabei Wunden, die hoffentlich wieder heilen können, aber in ihnen kann außer Bakterien kaum etwas gedeihen. Schwerter zertrennen und töten. In den Furchen von Pflugscharen dagegen kann Saat keimen, wachsen und Frucht bringen. Als Lehrende haben wir die Aufgabe, studentische Leistungen und Publikationen - peer review - zu bewerten. Das trennt: Bestanden oder nicht bestanden? Akzeptieren oder nicht akzeptieren? Es kommt daher darauf an, dass wir uns Mühe geben, Leistungen zugleich objektiv und individuell zu bewerten. Objektive Maßstäbe sind von der Sache her und aus Fairnessgründen geboten. Individuelle Zuwendung ist ebenso notwendig, damit Menschen an Dingen, die sie noch nicht gut oder gar nicht beherrschen, nicht grundsätzlich scheitern, sondern ihre Fähigkeiten und Grenzen besser einschätzen lernen. Ungeduld im Umgang mit Menschen ist ein Schwert. Mitgefühl, gepaart mit gutem fachlichen Rat, ist eine Pflugschar. Sowohl destruktive Ungeduld als auch konstruktives Mitgefühl brauchen viel emotionale Energie. Wir sollten sie auf die konstruktivere Lösung verwenden.

Nach diesen akademischen Anwendungen des Wortes von den Pflugscharen und Sicheln ein abschließender Blick auf Michas Fixpunkt, Hoffnung, Licht und Trost: Gott. Einige wenige Leseminuten nach unserem Predigttext folgt die berühmteste Passage in Michas Schrift. Er kündigt einen Friedensfürst an. Der soll aus Bethlehem kommen. Nach christlicher Überzeugung, wie sie zuerst im Matthäusevangelium berichtet wird, ist das Jesus. Den lassen wir zum Schluss zu Wort kommen. Was er sagt, ist ein bewegendes Beispiel dafür, wie jemand seine Macht und Kräfte zugunsten anderer nutzt, selbst wenn es ihn sehr viel kostet: "Der Menschensohn [damit meint Jesus sich selbst] ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele." (Markus 10,45)
Amen

Zum Seitenanfang